HomeDiscographyOrdering CDsInterviewGalleryReviewsContactPrivacy PolicySite Notice

-> Interview in English

Interview

Die Qualität liegt im Detail.

HERR KLEE, MIT ZEHN JAHREN BEGANNEN SIE GITARRE ZU SPIELEN, KLAVIERUNTERRICHT ERHIELTEN SIE ZWEI JAHRE SPÄTER. DOCH WAR IHR EIGENTLICHES INTERESSENGEBIET WENIGER DIE KONZERTGITARRE, ALS DIE POP-ORIENTIERTE GITARRE. WELCHE GITARRISTEN HABEN SIE IN DIESEN JUN­GEN JAHREN AM MEISTEN BEEINFLUSST?

Das waren vor allem Eric Clapton, Jeff Beck und Mick Taylor. Ich will kurz erläutern, wie es zu dieser Entwicklung kam: Als ich 1962 anfing Gitarre zu lernen, war von einem Gitarren­boom noch nicht allzu viel zu merken. Der setzte erst in den Folgejahren mit der wachsenden Popularität der Beat- und Rockmusik ein. Überall in Europa und Übersee schossen Bands wie Pilze aus dem Boden. Zu diesem Zeitpunkt gab es kaum Gitarrenunterricht nach klassischer Manier. Mein erster Lehrer unterrichtete mich mehr schlecht als recht nach der dreibän­digen Carcassi-Schule, und seine Kenntnisse waren derart mittelmäßig, daß ich den Unterricht nach drei Jahren langwei­ligen Carcassi-Gezupfes schließlich aufgab und mich mit Leib und Seele der Popmusik verschrieb.

Bis zu meinem 20. Lebensjahr sollte sie meine Domäne blei­ben. Es verging kein Tag, an dem ich mich nicht mit der E-Gi-tarre beschäftigte. Mit 16 Jahren konnte ich jedes Solo meiner Vorbilder mit den kleinsten Nuancen nachspielen. Ich habe in diesen Jahren unglaublich viel gelernt. Präzision, Zusammen­spiel, Klangsinn, Kraft und Ausdruck wurden geweckt und ent­wickelt. Bestimmt kann man diese Elemente auch in einem qualifizierten Unterricht erlernen, doch den gab es damals noch nicht, und ich behaupte, es gibt ihn auch heute noch zu wenig für die Konzertgitarre. Deshalb bin ich heute sehr glücklich, von dieser Zeit profitiert zu haben.

SIE GABEN BIS ZU IHREM 20. LEBENSJAHR ÜBER 500 KON­ZERTE MIT VERSCHIEDENEN GRUPPEN. WELCHER ART KON­ZERTE WAREN DIES UND MIT WELCHEN GRUPPEN SPIELTEN SIE ZUSAMMEN?

Vor allem Konzerte mit populärer Musik. Rock- und Popmusik in verschiedenen Formationen, mal aus drei Musikern beste­hend, mal aus acht. Zeitweise spielte ich in mehreren Gruppen gleichzeitig. Es gab fast nie ein freies Wochenende, und das sieben Jahre lang. Mit einer Showband die sich auf gehobene Unterhaltungsmusik verstand, spielte ich auf Galaveranstal­tungen für die sogenannte gehobene Gesellschaft, dann wieder mit einer Rockband in einer verrauchten Diskothek. Als ich an­fing Musik zu studieren, empfand ich dieses musikalische Neu­land zwar hochinteressant, aber auch wieder sehr brav und konventionell. Meine damalige E-Gitarre besitze ich übrigens immer noch. Sie verkörpert meine jugendliche Sturm- und Drangzeit, steht in einer Ecke und verstaubt.

1973 BEGANNEN SIE EIN MUSIKSTUDIUM AM WIESBADENER KONSERVATORIUM. WAS GAB DEN AUSSCHLAG DAZU?

Im Grunde genommen recht banale Umstände. Es fing damit an, daß ich meine damalige Lebensgefährtin und heutige Frau überreden konnte, Gitarre zu erlernen. Ich wollte sie "klas­sisch" spielen lehren, kaufte ihr zu dem Zweck ein preiswertes Instrument und besann mich auf meine längst vergessene Car­cassi-Schule. Meine Freundin (und heutige Frau) hat später ebenfalls in Wiesbaden Musik studiert, Hauptfächer Blockflöte und Klavier. Sie hatte später mit ihren Schülern beachtliche Erfolge in der Bundesebene von "Jugend musiziert".

Ich entdeckte so die Musik wieder, mit der ich mich als Kind nie so recht hatte anfreunden können. Meinen nostalgischen Gefühlen und einem besseren musikalischen Verständnis habe ich es wohl zu verdanken, daß ich einen gewissen Reiz plötz­lich bei Carcassi entdeckte. Der Umstand, daß ich technisch und musikalisch wenig Mühe mit den kleinen Kompositionen hatte, spornte mich an. Den zweiten und dritten Band ver­schlang ich geradezu! Immer noch in totaler Unkenntnis der Möglichkeiten des Instruments, half mir ein Freund weiter. Er spielte für damalige Verhältnisse ausgezeichnet Konzertgitar­re, und ich zollte ihm meine größte Verehrung, spielte er doch Teile der 1. Lautensuite von Bach. Er war auch im Besitz des umfangreichen Schulwerks von Bruno Henze, das Grundlage meines weiteren Lernens wurde.

Nach und nach wurde mir klar, daß die Gitarre unendlich viel mehr Ausdrucksmöglichkeiten bot als die E-Gitarre. Die Popmusik verlor immer mehr an Bedeutung, die Neugierde für die klassische Musik wuchs ständig, und es gab keinen Zweifel mehr - ich mußte Musik studieren.

Anspruchsvoller Popmusik bin ich auch heute nicht verschlos­sen. Einen waschechten Blues genieße ich ebenso wie eine ausgefeilte Komposition der Gruppe Gentle Giant.

WELCHE KRITERIEN BEEINFLUSSTEN DAS ERLERNEN VON KOMPOSITIONEN AUSSER DIESEM PRINZIP?

Während meines dreijährigen Musikstudiums zum Musikerzie­her spielte ich etwa nur zwanzig Kompositionen. Jede Ausar­beitung verlangte unendlich viel Mühe und Zeit, da ich mir die technischen Voraussetzungen erst erwerben mußte und den­noch von Anfang an ein hohes Niveau erreichen wollte. Im er­sten Semester spielte ich "Melancholy Galliard" von John Dowland. Ich kaufte mir sämtliche auf dem Plattenmarkt vorhan­denen Interpretationen, verglich sie untereinander in mühevol­ler Arbeit und wandte das erworbene Wissen in meiner Inter­pretation an. Auf diese Weise lernte ich all das, was mir der schulmeisterliche Unterricht nicht hatte bieten können. Diese Arbeitsweise machte ich mir über mehrere Jahre zu eigen, im­mer mit dem Ziel, eines Tages exemplarische Interpretationen zu spielen und auf Platte bannen zu können. Exemplarische In­terpretationen können natürlich nur für mich Gültigkeit be­sitzen und unterliegen selbstverständlich Erfahrungen und Ge­schmacksveränderungen. Doch die Grundlage bleibt konstant: der Einsatz und das richtige Verhältnis von Verstand, Seele, Phantasie und Inspiration.

Auch heute arbeite ich noch überdurchschnittlich lang an ei­nem Programm, orientiere mich aber nicht mehr an anderen Gitarristen. Vielmehr bewundere ich das Interpretationsniveau von Geigern und Pianisten und lerne eine Menge daraus. Für meine Platte GITARRENMUSIK VON MANUEL PONCE benötig­te ich fast zwei Jahre. Das führt natürlich unweigerlich dazu, daß mein erarbeitetes Programm sehr klein ist, aber ich kann Musikliteratur nicht konsumieren wie Essen und Trinken, da jede einzelne Komposition meine ganze Wertschätzung besitzt. Für mich kommt "Vielspielerei", mit der sich so mancher Musi­ker rühmt, nicht in Frage. Sie ist mir zuwider, denn sie verrät den Hang zur Quantität, nicht zur Qualität.

Die Probleme einer Interpretation sind derart vielschichtig, daß sie kein noch so versierter Kritiker begreifen kann, denn dazu benötigt man eine jahrelange Beschäftigung mit dem Werk. Eine annähernd perfekte Wiedergabe erschließt sich nur demjenigen, der sich lange Zeit mit ihm auseinandersetzt. Je­der Ton hat einen bestimmten Stellenwert, und diesen zu er­gründen braucht Zeit. Auch die Leidenschaft oder die Liebe zum Instrument wird durch den Verstand gesteuert. Es gibt den Satz: "Gefühl ohne Verstand ist Gefühlsduselei" - das trifft den Kern meiner Anschauung. Das Mystische Überirdische in der Kunst lehne ich ab. Damit kann ich nichts anfangen. Musik wirkt aus und durch sich selbst.

Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zum Thema "Üben" machen. Üben empfand ich stets als große Anstrengung. Nach einer Stunde Arbeit mit dem Instrument stellt sich schon eine gewisse geistige Erschöpfung ein, denn ich arbeite sehr zweckgerichtet und planvoll mit der entsprechenden Konzen­tration. Auch hier holte ich es nach dem Motto: Qualität vor Quantität. Ich kann nicht glauben, daß jemand 6 Stunden oder mehr mit seinem Instrument beschäftigt ist. Davon können doch höchstens drei Stunden effektiv sein, der Rest ist eher unkonzentrierte Spielerei. Während der Beschäftigung mit dem Instrument stellt sich bei mir eine Art von innerer Ruhe ein, andere Gedanken nehmen mich nicht mehr in Anspruch. Das bewirkt, trotz der geistigen Anstrengung, eine seelische Ent­spannung. Aber auch eine entgegengesetzte Wirkung kann auftreten, wenn es nämlich darum geht, automatisierte Bewe­gungsabläufe auf ein höheres Temponiveau zu bringen. Es kann sich daraus ein Überfieber entwickeln, das mit. seiner Be­sessenheit einem Spielrausch gleichkommt.

1977 STUDIERTEN SIE AN DER MUSIKHOCHSCHULE FRANKFURT. IN DIESE ZEIT FALLEN DANN AUCH JENE, WIE SIE SAGEN, "AU­TODIDAKTISCHEN STUDIEN VON BEDEUTENDEN GITAR­RISTEN". WAS IST DARUNTER ZU VERSTEHEN?

Wie schon erwähnt, war ich schon zu Beginn meines Studiums der Überzeugung, daß - will man über ein schulmeisterliches Spiel hinauswachsen - eine Orientierung an einem hohen Ni­veau stattfinden muß. Diese Einsicht erwuchs einerseits aus dem Mangel an musikalischer Information, andererseits aus meiner Neugierde, bestimmte Interpretationsmöglichkeiten und Spieltechniken nachzuvollziehen, deren Faszination ich erlag. Diese Art des Lernens hatte ich mir schon als Popgitar­rist zueigen gemacht, und es war für mich selbstverständlich, auch in der klassischen Musik von den Meistern zu profitieren. Jeder Künstler kann seine Maßstäbe weiterentwickeln durch Hören auch von Interpretationen anderer Künstler.

Es hat keinen Sinn, im stillen Kämmerlein vor sich hin zu üben, sondern man muß, schon um konkurrenzfähig zu bleiben, wis­sen, was andere machen, und sich auch Dinge anhören, die mit der eigenen Auffassung nicht übereinstimmen, um letztlich den eigenen Weg klarer zu sehen. Nur so kann man sich zur Selbst­kritik erziehen, die für jeden Künstler absolut notwendig ist. Meine damaliger Lehrer Altenburg vermittelte mir eine ausgezeichnete Grundlagentechnik, ohne die es mir nicht möglich gewesen wäre, meine autodidaktischen Studien zu betreiben. Julian Bream begeisterte mich zum Beispiel durch seine überschwengliche Ausdruckskraft. Ich kann mich nun als Hörer daran erfreuen und es dabei belassen, oder aber ich untersuche, mit welchen Mitteln diese Ausdruckskraft zustande kommt.

Ich habe viel von Christopher Parkening gelernt. Für mich ist er einer der sen­sibelsten und intelligentesten Gitarristen überhaupt. Es ver­wundert, daß er hierzulande relativ unbekannt ist, stattdessen frönt man mehr dem vordergründigen Virtuosentum. Von Bream und Parkening lernte ich unter anderem den gezielten Einsatz von Klangmöglichkeiten und deren Realisierung. Jeder Gitarrist sollte beispielsweise einmal die Sonate A-Dur von Anton Diabelli in der Bream-Interpretation auf die Verwen­dung der Register hin untersuchen. Der Lernprozeß soll sich dabei nicht nur auf die akustische Wahrnehmung erstrecken, vielmehr muß man auch begreifen, warum Bream die Klang­farben so einsetzt und welche Wirkung dabei erzielt wird. Ich habe stets versucht, interessante Klangschattierungen zu er­forschen, was mir besonders bei Parkening viel Mühe bereite­te. Er verfügt über ein ganz und gar außergewöhnlich kantables Spiel, dessen Intimität und Weichheit einzigartig ist. Es brauchte eine lange Zeit bis ich begriff, daß durch rein moto­rische Abläufe der Anschlagsfinger diese Gesanglichkeit nicht zu realisieren war. Vielmehr mußte ich, um diesen Effekt nachzuahmen, einen bestimmten Saitentypus verwenden, dessen Diskantsaiten eine milchig wirkende, unpolierte Oberflächenstruktur aufweisen. Durch diese etwas rauhe Ober­fläche läßt sich die Saite mit den Fingernägeln besser führen, wodurch sich bestimmte Klangeffekte im Pianospiel ausführen lassen. Dieser Klangeffekt wird unter anderem von Parkening beim Spiel dreier Kantaten auf seiner Bach-Platte deutlich. Die Melodie erklingt wohltuend zart, ist mit Vibrato belebt, wirkt außerordentlich gesanglich und steht deutlich im Vordergrund. Das ist nur ein Beispiel von subtiler Beherrschung einer höchst komplizierten Technik, für die ich mehr Bewun­derung empfinde als dem kraftmeierischen Gewaltakt einer "Bilder einer Ausstellung" Transkription.

Die Bausteine der Kunst liegen im Detail begründet. Einen klaren, sauberen Ton zu besitzen, sollte erst die Basis für des­sen Entwicklung sein. Viele bleiben auf dieser Basis stehen, auch einige berühmte Gitarristen, und sind zufrieden damit. Sie bestechen durch eine sehr konstante Tongebung und spielen die Gitarre so, als sei sie eine Orgel mit nur einem Register. Nach dieser Basis gibt es noch eine Vielzahl anderer musikalischer Dinge zu entwickeln.

WELCHE ROLLE SPIELTE ROBERT BROJER BEI IHRER KÜNST­LERISCHEN ENTWICKLUNG?

Eine sehr entscheidende. Brojer ist eine große Musikerpersön­lichkeit. Er geht bei seiner musikalischen Arbeit mit seinen Schülern ins Detail. Ich glaube, er ist einer der wenigen Päda­gogen auf dem Gitarrensektor, der über fundierte Kenntnisse einer epochenbezogenen Artikulation verfügt. Er verzichtet auf weitschweifige Inhaltsdeutungen und gibt seine Anweisun­gen hautnah am Text - kurz und präzise. Seine Lektionen ga­ben mir den Anstoß zu einem planvollen Einsatz der interpre-tatorischen Notwendigkeiten wie Phrasierung und Stimmfüh­rung. Nach jeder Unterrichtsstunde bei ihm notierte ich mir je­de seiner Bemerkungen gewissenhaft und versuchte Erkennt­nisse allgemeiner Natur aus ihnen zu ziehen. Darüberhinaus faszinierte mich seine ungekünstelte menschliche, ja väterli­che Wärme, die sich auch in einer gewissen Strenge äußerte. Ein großartiger Musiker, der etwas mit der Materie anzufangen wußte. Einige Jahre später wurde mir erst bewußt, wieso er über dieses Wissen verfügte: Er war ursprünglich Spieler eines historisch gewachsenen Instruments mit pädagogischer Tradi­tion. Er besaß seine Kenntnisse durch die ... Geige!

© 2007 by GeckoNET